„The Beauties“ blieben relativ unbekannt, Punk aber war auch im deutschen Südwesten nicht mehr aufzuhalten. 1977 und 1978 gründeten sich in Stuttgart und im Umland viele Bands, „das ist die Zäsur, da beginnt meine Arbeit“, sagt Steiner. 1978 begannen Normahl um Sänger Lars Besa aus Winnenden, die schon bald deutschlandweit bekannt sein sollten. Heute dürften sie die älteste noch existierende Punkband der Republik sein.
Simon Steiner war damals mittendrin, spielte in Bands wie „Sissis Kinder“ Punk und New Wave. Als Saxophon-Spieler, also mit einem nicht gerade gängigen Punk-Instrument. Für das er sich erstmal einen neuen, punkigen Spielstil beibrachte. Steiner hatte bald seinen Spitznamen weg, „Sid“,weil er festgestellt hatte, dass Sex-Pistols-Bassist Sid Vicious auch Simon mit Vornamen hieß. „Aber ich war kein Punk von der Haltung her.“ Simon „Sid“ Steiner war eher „Punkmusikfan“. Angefixt 1977, mit 22 Jahren, als ihm sein Vetter aus Berlin die erste Sex-Pistols-Platte mitbrachte. „Das war der Hammer, schon das Cover, die Musik, einfach umwerfend!“
1981 schrieb Steiner seine Zulassungsarbeit als Lehrer fürs erste Staatsexamen. Thema:“Jugend und Subkultur: Die Punkbewegung“. Als er 2014 in Vorruhestand ging, habe ihn ein Musikjournalist, mit dem er studiert hatte, an die alte Arbeit erinnert und ermuntert, noch einmal etwas in diese Richtung zu machen. Das war der Anstoß für „Wie der Punk nach Stuttgart kam“. „Das Projekt hat für mich nichts mit Nostalgie zu tun“, betont Steiner, „sondern ist die Möglichkeit, das Thema nochmals lokal- und regionalgeschichtlich zu durchforsten und zu durchleben.“
Das Besondere an der Stuttgarter Szene? Sie war verdammt produktiv
Die deutschen Punk-Zentren in jener Zeit waren Düsseldorf, West-Berlin und Hamburg. Auch in Stuttgart gab es eine Szene. War etwas besonders an ihr? „Der schwäbische Drill, die Leistungsorientierung, der Pietismus, das autoritäre Denken hier, all das spielte sicherlich eine Rolle“, sagt Steiner. „Für die Jugendlichen war Punk eine Möglichkeit, dagegen zu halten, gegen diese autoritäre Welt zu protestieren.“ Die Leistungsorientierung, von der man sich einerseits so vehement abgrenzte, schien andererseits nicht ganz ohne Folgen geblieben zu sein. „Die Jugendlichen waren unglaublich produktiv!“ Zwischen 1977 und 1983 gab es um die 200 Bands, etwa Chaos Z, Fehlprodukt, Heute, KGB, Ätzer 81 oder Familie Hesselbach. 150 Cassetten und rund 50 Schallplatten wurden aufgenommen, es gab etwa 50 Fanzines.
Gerade die Fanzines, die Do-it-yourself-Magazine hatten es Steiner schon damals angetan. „Diese Hefte zu studieren, in Dada-Technik und Collage-Stil hergestellt, mit Schreibmaschine, Schere und Klebstoff, das hat mich völlig fasziniert.“ Sein 340 Seiten Punk-Buch wird es deshalb auch nicht am Stück gebunden geben, sondern in elf Fanzine-artigen Heften, aufgeräumt in einem Schuber.
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